|
HOME | MAGAZINE
EUPHORIUM
Magazine.
Independent
Reviews of Jazz, Contemporary & Improvised Music written
by Oliver Schwerdt.
Radikal-kritisch, poetisch. Relativ.
Ernst-Ludwig
Petrowsky & Michael Griener: The Salmon [INTAKT
148]
Jazzhistorischen
Kontext kann man genüsslich inhalieren. Septemberabend 1983.
Wir sitzen am Fuße einer Burg, in einem Keller, der sich
unter aufeinander geschichteten Sandsteinen, halbkreisförmig
wölbt. Ernst-Ludwig Petrowsky und Uschi Brüning stehen
auf der Bühne des Jazz Studios Nürnberg. In der ersten
Reihe vorne links, blutjung ihre neuen Fans. 22 Jahre später
ruft einer der beiden, älter gewordenen Jüngeren, den
auch nicht jünger gewordenen Alten an. Was ist damals und
seitdem passiert? Was steht kurz bevor?
Michael Griener und Rudi Mahall, der Bläser mit dem der
Schlagzeuger die Kinderschuhe seiner Laufbahn im Duo teilte,
hatten bei besagtem Konzert aufgeregt hingehört und in der
Pause hastig die Noten abgeschrieben. Griener erkundete in den
nächsten Jahren bei Günter Christmann von Hannover
aus die Szene der frei zu improvisierenden Dinge. Mahall ging
einen anderen Weg. Petrowsky aber, war kurz nach dem Nürnberger
Auftritt daran beteiligt, das zentrale Quartett des Freejazz
der DDR wieder zu beleben. Als Michael Griener 1994 in die aufbrodelnde
deutsche Hauptstadt kommt, spielt er schon bald mit jenen Ost-Indianern
Ulrich Gumpert und Klaus Koch einschließlich dem einst
angehimmelten Petrowsky zusammen, also immerhin 3/5 der Gruppe
Synopsis/Zentralquartett. Griener sitzt da zufällig an der
Stelle Baby Sommers, unter dessen Leitung er später die
Schlagzeug-Klasse der Dresdner Musikhochschule unterrichten wird. Über
die Jahre wandelt sich die Gruppe. Klaus Koch stirbt, Jan Roder
kommt. Ben Arbarbenel-Wolff kommt, Ernst-Ludwig Petrowsky sucht
in den Fjorden heimlich seine Lachszucht. Griener bleibt. Er
ist damit Schlagzeuger jenes Quartetts, mit dem Gumpert zur Verleihung
des Mangelsdorff-Preises so unglaublich heizt. Die Konstante über
all die Jahre aber steht: das Duo Brüning-Petrowsky, welches
Griener und Mahall einst so faszinierte. Am 21. Juli 2005 klingelt
es dort. Michael Griener steht gerade im Studio von Michael Haves
und spricht in seinen mobilen Fernsprechapparat. Kurze Zeit später
kommt Bohnsdorfer Holz um’s Eck, über die Spree nach
Oberschöneweide, Nalepastraße. In das ihm wohlbekannte,
mittlerweile ehemalige DDR-Rundfunkgebäude zieht Petrowsky
gerne ein. Griener
setzt sich. Das hellblaue Slingerland, Jahrgang ’64
steht ihm gut. Er trommelt ohne Resonanzfell – oder anders
gesagt: Griener gehört zu einer Musikergeneration, die den
erweiterten Spielweisen ihrer Instrumente, mit einer Retrospektive
von Elementen vorrevolutionärem Jazz kokettierend, bewusst
gegenüber treten. Konventionelles Set und die üblichen
Präparationen: kleine Becken, Gongs, alle Stöcke, Fundstücke
vom, einst durch Christmann alltagssinfonisch offenbarten Schrottplatz
Braunschweig. Das Schlagzeug setzt sich in Bewegung. Dazu zieht
die Melodie beinahe in sanften Bögen, bevor sie frech und
aufwärts prescht. Unter der Decke spielt sich’s gut.
Da hängt er doch am Liebsten: Petrowsky, die Saxophon gewordene
Dynamik der Musik. Ein Glücksfall von einem Musiker, der weiter
und weiter unbändig spielt, fesselt, Fesseln zerschlägt
- der Rhythmus springt. Der Puls, der im Zusammenhang schlittert;
der Bruch, der vom Becken aus hinklirrt; der Reifen, durch den,
im Poltern, die Lüfte brennen. Es schleudert, schlenkert,
schwingt. Tablaartig federn die Membranen ab, bis ein Gummikopfschlägel
rutscht und reibt. Die zarten Besen und zärtlichen Gongs.
Holz ist dazwischen, ja Metall; Stein- und Eisenzeit. Der Schlagzeuger
verwandelt sich, seine Autoreifen in exotische Toms. Die Karosserie
und ihr Gaspedal. Sie finden im Schwelgen aus dem Herzen des Swing,
servieren in freiem Puls. Petrowsky kellnert. Sein Schimpfen reiht
in die Musik sich ein. Politisch werden Missstände melodiös
entblößt. In ewigen Modulationen: Da sind sie, entengeil
und schnabelhaft, von Gurgel, Mundstück produziert, in Vibration
gebogen. Eine Konjugation, die skizzenhaft flottierend, alle Linien
flüchtig beugt. Nach der Architektur, nun auch der Jazz: dem
Boden schwerelos enthoben. Chronologisch
konsistent dokumentiert, führt diese Sitzung
aus, wie zwei Musiker, beinahe epochal verschieden, aus Zonesfremde
jazzend im Spiel einander Nähe kultivieren. Musikgeschichtlich
bekannt ist dieser für einen Saxophonisten und einen Schlagzeuger
Intimität bietende Rahmen längst bekannt. Harmonische
Bindungen notorisch anweisende Instrumente wurden schon früher
von Dutzenden Gruppen suspendiert. Nun gibt es nach der New Yorker
Ur- und (bspw.) einer Stockholmer Radikalfassung die ganze Duo-Kunst
nach Berliner Art. Jazz, zwar minimal besetzt, dafür maximal
garantiert.
(Erschienen
in: Neue Musikzeitung Online, ab 9. Dez
2008)
[TOP] [HOME]
|