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EUPHORIUM Magazine.

Independent Reviews of Jazz, Contemporary & Improvised Music written by Oliver Schwerdt.
Radikal-kritisch, poetisch. Relativ.

Zentralquartett: 11 Songs - Aus teutschen Landen [INTAKT 113]

Patrik Landolts Intakt hat nun eine Neuauflage des Zentralquartetts, den Jahrzehnte alten Verein ostdeutscher Jazzlegenden, vorgelegt. Die Idee Günter Sommers, der Musik Charles Mingus’ mit dieser Besetzung ohne Kontrabass Tribut zu zollen, wich der Entscheidung zu Gunsten eines bewährten Prinzips: Deutsches Volksliedgut für den Jazz aufzugreifen. Das gelingt ohne große Vorbereitungen.
Bereits 1972 stellte Ulrich Gumpert mit seinem Werkstattorchester eine Suite „Aus teutschen Landen“ vor. Auch das Quartett, welches bald darauf in der Lage war, diese Strukturen zu verdichten, sollte von der Eingebung teutonischer Folklore profitieren. Bis heute. Das, was die Herren in der ersten Hälfte der 70er Jahre als Gesellen entwickelten und Ende der 80er/Anfang der 90er als Meister vollendeten, lässt sich nun, um das gesetzliche Rentenalter herum, ganz gut als eigenes Erbe zelebrieren. Die vorliegende Scheibe untermauert einmal mehr das einmal etablierte Bild. Da ist also wieder Gumpert, „Der alte Thüringer“ und beginnt mit einem Motiv, welches bereits 1974 einen Titel eröffnete, der sich im Laufe des Spielprozesses zu „Kommt ihr G’spielen“ ausformte. Die Platte eröffnet also mit einem alten Hut! Und doch klingt diese Musik frisch, die Herren scheinen bester Laune zu sein. Sie können auf Kommando ein heißes Feuer entfachen, mystisch tiefe Beschwörungen vollführen, die sich immer wieder zu optimistischen Hymnen oder kecken Tanzgelagen verdichten. Typisch ist der blockhafte Wechsel zwischen Themen und freien Improvisationen. Klassisch und genial ist die ganz eigene Kontrapunktik zwischen Saxophon und Posaune, während Klavier und Schlagzeug ein verlässliches Gespann bilden. Gekonnt wird ein vierdimensionaler Raum aufgespannt, entweder von Vornherein oder durch die reiche Erfahrung im Nu ausgewogenen arrangiert.
Die fünf Lieder „Es fiel ein Reif“, „Der Maie, der Maie“, Tanz mir nicht mit meiner Jungfer Käthen“, Es saß ein schneeweiß Vögelein“ und „Kommt ihr G’spielen“ – das Material von ’72 - bilden auch nun den Grundstock der neuen Aufnahmen. Mit „Kiekbusch“, „Dat du min Leevsten büst“, Es ritten drei Reiter zum Tore hinaus“ und „Es war ein König in Thule“ wurden vier weitere Volkslieder arrangiert. „Der alte Thüringer“ und „Conference at Conny’s“ stellen zwei selbstreferentielle Titel eines Zentralquartetts dar, welches sich nicht neu erfindet. Aktuelle Strömungen bleiben hier außen vor.

(Gekürzt erschienen in: Jazzzeitung, April 2006)

 

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